Hilfe gemäß § 27 SGB VIII – Hilfen zur Erziehung ¶
Die Hilfe nach § 27 SGB VIII bildet das zentrale Fundament der Hilfen zur Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe. Sie ist die rechtliche Ausgangsnorm, auf deren Grundlage die meisten erzieherischen Unterstützungsleistungen – ambulant, teilstationär oder stationär – gewährt werden.
§ 27 beantwortet damit eine grundlegende Frage der Jugendhilfe:
Wann und unter welchen Voraussetzungen haben Kinder, Jugendliche und ihre Familien Anspruch auf erzieherische Unterstützung durch das Jugendamt?
1. Rechtliche Einordnung von § 27 SGB VIII ¶
§ 27 SGB VIII ist eine Anspruchsnorm.
Das bedeutet: Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, besteht ein Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung.
Der Paragraph selbst beschreibt noch keine konkrete Hilfeform, sondern definiert:
- den Anspruch,
- die Zielrichtung
- und den fachlichen Rahmen, innerhalb dessen passende Hilfeformen ausgewählt werden.
Alle konkreten Hilfen (z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistand, Heimerziehung) werden auf Grundlage von § 27 in Verbindung mit weiteren Paragraphen (§§ 28–35, 34, 35a etc.) erbracht.
2. Gesetzliche Voraussetzungen für Hilfen zur Erziehung ¶
Ein Anspruch auf Hilfe zur Erziehung besteht, wenn:
- eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist
und - die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.
Diese beiden Voraussetzungen müssen zusammen vorliegen.
Was bedeutet „nicht gewährleistete Erziehung“? ¶
Damit ist nicht gemeint, dass Eltern „versagen“ oder schuldhaft handeln.
Gemeint ist vielmehr, dass die aktuellen familiären Bedingungen nicht ausreichen, um dem Kind eine förderliche Entwicklung zu ermöglichen.
Beispiele:
- dauerhafte Überforderung der Eltern
- massive familiäre Konflikte
- psychische Belastungen oder Erkrankungen von Eltern
- fehlende Struktur, Vernachlässigung oder Inkonsistenz
- Trennungssituationen mit hoher Eskalation
Für Berufsanfänger:innen wichtig:
§ 27 bewertet Situationen, nicht Eltern.
Geeignet und notwendig – was heißt das? ¶
Eine Hilfe muss:
- geeignet sein, um die Entwicklung des Kindes zu fördern,
- und notwendig, weil mildere Mittel nicht ausreichen.
Beispiel:
Wenn Beratung allein nicht mehr stabilisiert, kann eine intensivere ambulante Hilfe (z. B. SPFH) notwendig werden.
3. Zielsetzung der Hilfen zur Erziehung ¶
Ziel aller Hilfen nach § 27 ist es,
- das Kindeswohl zu sichern,
- die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen zu fördern,
- und die Erziehungskompetenz der Eltern zu stärken, soweit möglich.
Dabei gilt der zentrale Grundsatz:
Hilfe vor Eingriff.
Das bedeutet:
- Unterstützende Maßnahmen haben Vorrang vor eingreifenden oder trennenden Maßnahmen.
- Stationäre Unterbringung ist immer letzte Option, wenn ambulante Hilfen nicht ausreichen.
4. Formen der Hilfen zur Erziehung (Überblick) ¶
Auf Grundlage von § 27 können unterschiedliche Hilfeformen gewährt werden, u. a.:
-
Erziehungsberatung (§ 28)
Niedrigschwellige Unterstützung bei Erziehungsfragen. -
Soziale Gruppenarbeit (§ 29)
Förderung sozialer Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. -
Erziehungsbeistandschaft (§ 30)
Individuelle Unterstützung für Kinder oder Jugendliche. -
Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31)
Intensive, aufsuchende Unterstützung der gesamten Familie. -
Tagesgruppen (§ 32)
Teilstationäre Hilfe mit schul- und alltagsbegleitendem Charakter. -
Vollzeitpflege (§ 33)
Unterbringung in Pflegefamilien. -
Heimerziehung / betreute Wohnformen (§ 34)
Stationäre Unterbringung mit pädagogischer Begleitung. -
Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35)
Hochintensive Einzelsettings für stark belastete Jugendliche.
Diese Hilfen unterscheiden sich in Intensität, Setting und Zielgruppe, folgen aber alle derselben Grundlogik des § 27.
5. Hilfeplanung nach § 27 SGB VIII ¶
Alle Hilfen zur Erziehung sind hilfeplanpflichtig (§ 36 SGB VIII).
Das Hilfeplanverfahren dient dazu:
- den Hilfebedarf festzustellen,
- Ziele zu definieren,
- die passende Hilfeform auszuwählen,
- den Verlauf regelmäßig zu überprüfen.
Beteiligte sind in der Regel:
- Eltern bzw. Sorgeberechtigte
- das Kind oder der Jugendliche (altersangemessen)
- der Allgemeine Soziale Dienst (ASD)
- ggf. beteiligte Fachkräfte oder Träger
Für Berufsanfänger:innen:
Hilfeplanung ist kein Verwaltungsakt, sondern ein fachlicher Aushandlungsprozess.
6. Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern ¶
§ 27 ist eng verknüpft mit dem Beteiligungsgrundsatz des SGB VIII.
Das bedeutet:
- Eltern werden als zentrale Akteure ernst genommen.
- Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung.
- Ziele werden nicht „verordnet“, sondern gemeinsam entwickelt.
Gerade für die Wirksamkeit von Hilfen ist diese Beteiligung entscheidend.
7. Abgrenzung zu anderen Leistungstatbeständen ¶
Für die Praxis wichtig ist die Abgrenzung zu anderen Paragraphen:
-
§ 27
→ erzieherischer Bedarf, familiäre Kontexte im Fokus -
§ 35a
→ seelische Behinderung mit Teilhabeeinschränkung -
§ 41
→ Hilfe für junge Volljährige bei verzögerter Selbstständigkeit
In der Praxis können sich Bedarfe überschneiden. Entscheidend ist stets:
Was ist die Hauptursache des Hilfebedarfs?
Zusammenfassende fachliche Einordnung ¶
§ 27 SGB VIII ist das tragende Fundament der Hilfen zur Erziehung.
Er ermöglicht es, Familien frühzeitig zu unterstützen, Entwicklung zu sichern und Eskalationen zu vermeiden.
Für Berufsanfänger:innen bedeutet § 27:
- ein klarer rechtlicher Rahmen,
- große fachliche Gestaltungsmöglichkeiten,
- hohe Verantwortung für passgenaue Hilfeentscheidungen,
- und die Chance, präventiv und entwicklungsfördernd zu arbeiten.
§ 27 ist damit kein „Einzelfallparagraph“, sondern die Grundlogik der erzieherischen Jugendhilfe.